Von maßgefertigter Tracht zu Fast Fashion und wieder zurück
Eine Reportage von Verena Schinnerl

In der Trachtenschmiede in Weiz fertigt Elisabeth Pirchheim alle Kleidungsstücke in Handarbeit. Im Laufe der Zeit entwickelte sie ihre Liebe zum Nähen und entdeckte die Wichtigkeit von Nachhaltigkeit. Zwischenzeitlich setzte sie auf eine andere Geschäftsidee, scheiterte aber und kehrte zur Slow Fashion zurück.

Elisabeth Pirchheim tritt an die gläserne Scheibe, dreht den Schlüssel um und öffnet die Tür. Die hohen, weißen Wände des Verkaufsraums wirken modern – anders als die traditionelle Tracht darin. „Es gibt einen Notfall, ich habe nicht viel Zeit.“ Hektisch eilt die Schneiderin in den hinteren Teil des Gebäudes.
Sie spannt das Garn mit routinierten Handbewegungen bei ihrer Nähmaschine ein, denn die
56-Jährige näht schon seit ihrer Jugend. „Mit zwölf Jahren habe ich von meiner Mutter eine neue Jeans bekommen. Weil sie nicht modern war, habe ich sie einfach enger genäht“, schmunzelt sie. Drei Jahre später erlernte sie die steirische Frauentracht im steirischen Heimatwerk in Graz. Die Lehrstelle galt als Privileg und es war ungewöhnlich, täglich vom Land in die Hauptstadt zu pendeln. „Die Leidenschaft fürs Nähen war zu diesem Zeitpunkt noch nicht da, aber meine Mama hat gesagt, ich hätte eine Begabung dafür“, erzählt die Schneiderin.
Elisabeth Pirchheim an der Nähmaschine
Geschickt führt Elisabeth Pirchheim die Nadel ihrer Nähmaschine über den kastanienbraunen Wollbrokat – den Notfall. Das Material war bei der Post liegengeblieben und traf erst an diesem Tag ein. Aus dem Stoff soll noch heute das Gilet für eine morgige Hochzeit entstehen. Spontan war Elisabeth Pirchheim bereits öfter. Sie fuhr viermal mit dem Rad ans Meer, denn die Schneiderin braucht die Bewegung in der Natur als Ausgleich zur handwerklichen Arbeit. Sie wandert, läuft, geht mit ihrem Hund spazieren – oder radelt eben über die Grenze. „Wenn du mich heute fragst‚ ob wir mit dem Rad ans Meer fahren, fahre ich los – aber ohne Strom“, schmunzelt sie.
„Ein guter Handwerker ist oft kein guter Kaufmann.“

Kurzfristig entschied Elisabeth Pirchheim auch, ihren eigenen Betrieb zu gründen. Ohne wirtschaftliche Vorkenntnisse meldete sie 1999 erstmalig ein Gewerbe an und richtete sich zuhause ein Nähstübchen ein. Als sie vor familiären Umbrüchen stand, gründete sie die Trachtenschmiede in Anger. Doch einige wirtschaftliche Fehler kosteten sie viel Geld. „Ein guter Handwerker ist oft kein guter Kaufmann. Ich habe so eine Freude an meiner Arbeit gehabt, dass ich die Sachen am liebsten verschenkt hätte – das wird irgendwann knapp“, erklärt sie. Heute kümmert sich deshalb Lebenspartner Franz um das Wirtschaftliche im Betrieb.

Im hinteren Teil der Werkstatt stapeln sich braune Umzugskartons. Fest mit Paketband zugeschnürt erinnern sie an die Zeit der Schulden. Anders als die Mode im Verkaufsraum sind die Kleidungsstücke in den Kisten nicht maßgefertigt, sondern Stangenmode. Elisabeth Pirchheim packte die Restposten vor nunmehr drei Jahren weg, als der Versuch, Massenware zu verkaufen, gescheitert war. Der frühere Standort in Anger war von außen kaum sichtbar, weshalb die Trachtenschmiede 2017 nach Weiz übersiedelte. Im Zuge dessen wollte sich die Schneiderin mit Fast Fashion ein zweites Standbein schaffen und suchte dafür Kleidung auf der Modemesse in Salzburg aus: Riesige Hallen, darin Kollektion neben Kollektion, alle in die verschiedensten Farben eingeteilt. Die Massenware überzeugte sie nicht, doch sie wollte einen neuen Verkaufsversuch wagen und bot diese dennoch an. Als der Vertrieb nicht funktionierte, verlor Elisabeth Pirchheim viel Geld und stornierte weitere, auf der Modemesse bestellte Kleidungsstücke.
„Jeder glaubt, er braucht alles.“
Heute lässt sie sich nicht mehr von großen ModeschöpferInnen diktieren. „Wir machen unseren eigenen Stil“, erklärt sie. Mode ist oft schnelllebig, doch die Schneiderin möchte nachhaltige Unikate herstellen. An diesem Tag trägt sie einen eigenhändig genähten moosgrünen Blazer, dazu einen knielangen Rock. Schon seit ihrer Lehre fertigt Elisabeth Pirchheim ihre Kleidung selbst, die Leidenschaft und Wertschätzung dafür entwickelte sie aber erst mit der Zeit. Als ihre Meisterin sie zur Hälfte der Lehrzeit für einen schwarzen Trachten-Spenzer lobte, begann die Schneiderin zu begreifen, wie wertvoll ihre Arbeit ist. In ihrer Jugend verfiel Elisabeth Pirchheim dennoch immer wieder in einen Kaufrausch. Heute besitzt sie wenig und fast ausschließlich selbstgenähtes Gewand: Ein paar Dirndln, Kleider, Kostüme, Blusen, teilweise eigens gefertigte Westen. Jeans hat sie nur eine einzige. „Wir leben in einer Zeit, wo wir vieles im Prinzip nicht brauchen, aber jeder glaubt, er braucht alles. Was du ein Jahr lang nicht angezogen hast, ist nur unnötiger Ballast.“
Elisabeth Pirchheim beim Anzeichnen der Knopflöcher
Eine Kundin betritt die Trachtenschmiede und fragt nach grünem Leinen. Elisabeth Pirchheim führt sie zum Stofflager. Weicher Jersey, robuste Baumwolle und faseriges Leinen stapeln sich farblich sortiert auf dem massiven Holzgerüst. Die Frau erkundigt sich nach den Kosten für einen Meter Stoff. „42 Euro 90“, entgegnet Elisabeth Pirchheim unverzüglich. – „Gibt’s das auch günstiger?“ – „Günstigeres Leinen habe ich leider nicht.“ Nachhaltige Stoffe aus Österreich haben ihren Preis. Die Trachtenschmiede braucht bewusste Kundschaft, die Wert auf die Herkunft der Ware legt. „Im Internet gibt es Dirndln, die so viel kosten wie bei mir der Meter Stoff“, erzählt die Schneiderin. Heute ist es ihr geglückt, zu vermitteln, warum Materialien und Kleidungsstücke bei ihr teurer sind.
Ein heller Aufsatzkasten aus rauem Kiefernholz steht unscheinbar an der Wand des Verkaufsraums. Damals noch gelb angestrichen war die Kommode schon in Elisabeth Pirchheims erstem Nähstübchen zu finden, in dem sie Skianzüge und die Erstkommunionkleider für ihre Töchter fertigte. „Ich habe nicht alles für meine Kinder genäht, aber vieles. Wenn du vier Kinder hast, fängst du an, alles zu hinterfragen: Kleidung, Ernährung, Umwelt.“ Das bewegte sie zu einem Umdenken und Nachhaltigkeit wurde ihr auch abseits der Mode vermehrt wichtig. Heute hat sie einen Garten mit Hühnern und selbst angebauten Kartoffeln, sie erledigt Einkäufe beim kleinen Kaufmann im Ort. „Viele sind kurzzeitig auf den Nachhaltigkeitstrend aufgesprungen, Nachhaltigkeit ist aber eine Lebenseinstellung”, so die Schneiderin.
Ihre Töchter Lilly und Viktoria waren schon als Babys bei der Arbeit ihrer Mutter dabei. Damals befestigte Elisabeth Pirchheim ein Mobile an ihrem Fuß und sobald sie auf das Pedal ihrer Nähmaschine trat, schaukelte das Spielzeug. Die Zwillinge sammelten beruflich zuerst andere Erfahrungen, mittlerweile sind sie selbst in der Trachtenschmiede tätig. „Das Sinnstiftende am handwerklichen Beruf ist für mich, dass ich die Erschafferin bin und nicht hinter einem großen Konzern verschwinde“, erzählt Viktoria. Sie bepinselt die Blumenschnörkel auf ihrem Holzmodel mit roter Farbe und stempelt das Muster fest auf ein weißes Leinentuch. Mit der ökologischen Pflanzenfärberei und -druckerei will das Familienunternehmen Arbeitsschritte, die in der Textilindustrie ausgelagert wurden, wieder zurückholen. „Es ist ein großes Glück, dass meine Töchter die gleichen Werte teilen“, sagt Elisabeth Pirchheim.
Lilly, Viktoria und Elisabeth Pirchheim (v.l.n.r.)
„Lebenszeit wegen Knöpfen verschwenden.“
Im Hintergrund läuft leise Radio Steiermark. Auf einem Konzert von Andreas Gabalier ist die Schneiderin aber nicht zu finden. „Das ist nicht meine Schiene. Diese Art der Tracht ist einfach etwas anderes, eine Verkleidung”, erklärt sie. Elisabeth Pirchheim umgarnt das letzte Knopfloch des Gilets, dann greift sie zu einem beigen Janker und näht marmorierte Trachtenknöpfe fest. Bis zum Tag vor der Hochzeit hat sie damit gewartet, doch die online bestellten Knöpfe der Braut sind nicht rechtzeitig angekommen. Jetzt müssen kurzerhand solche aus Hirschhorn herhalten. „Immer das Gefühl haben, auf der nächsten Internetseite noch etwas Besseres zu finden und Lebenszeit wegen Knöpfen verschwenden. Dabei schont man sein Gehirn, wenn man eine begrenzte Auswahl hat“, so die Schneiderin.
Elisabeth Pirchheim beim Annähen der Knöpfe

Es ist draußen bereits dunkel geworden, als Elisabeth Pirchheim Janker und Gilet in den Verkaufsraum trägt. Acht Stunden hat sie an letzterem gearbeitet, das Schneiderhandwerk erfordert Geschick und Geduld. Der Bräutigam zieht sich das Gilet über und die Schneiderin mustert die Passform ihrer Maßanfertigung. „Das Nähen ist nicht nur die Herstellung eines Kleidungsstückes. In jedes Stück, das ich produziere, lege ich Liebe hinein“, resümiert Elisabeth Pirchheim.



This site was made on Tilda — a website builder that helps to create a website without any code
Create a website